INTERVIEW MIT BBH-PARTNER MALTE MÜLLER-WREDE ÜBER DIE ANFORDERUNGEN UND PERSPEKTIVEN EINER ANWALTLICHEN TÄTIGKEIT IM VERGABERECHT

Malte Müller-Wrede zählt zu den renommiertesten Experten im Vergaberecht in Deutschland. Seit dem 1. Juli 2024 verstärkt er als Partner die BBH-Gruppe. In seinem Arbeitsalltag geht es um komplexe Vergabeverfahren, strategische Nachprüfungen und Projekte mit hoher politischer und technischer Relevanz. Warum das Vergaberecht aktueller und spannender denn je ist – und was junge Jurist:innen bei BBH erwartet – darüber spricht er im Interview.

Malte Müller-Wrede zählt zu den renommiertesten Experten im Vergaberecht in Deutschland. Seit dem 1. Juli 2024 verstärkt er als Partner die BBH-Gruppe. In seinem Arbeitsalltag geht es um komplexe Vergabeverfahren, strategische Nachprüfungen und Projekte mit hoher politischer und technischer Relevanz. Warum das Vergaberecht aktueller und spannender denn je ist – und was junge Jurist:innen bei BBH erwartet – darüber spricht er im Interview.

HERR MÜLLER-WREDE, IM LETZTEN JAHR SIND SIE ALS MITGLIED IN DIE PARTNERSCHAFT BEI BBH GESTARTET. WORAUF HABEN SIE SICH IN DER NEUEN ROLLE BESONDERS GEFREUT?

Von Anfang an habe ich mich auf meine vielen neuen Kolleginnen und Kollegen gefreut – und die Zusammenarbeit mit ihnen war ausgesprochen angenehm. Wir konnten ab Tag eins gemeinsam neue Projekte angehen, die für keine Seite allein machbar gewesen wären.

UND WARUM BBH?

BBH hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Allein schon aufgrund der Größe der Kanzlei bleibt dies naturgemäß am Markt nicht unbeobachtet. Unabhängig davon habe ich meinen jetzigen Partnerkollegen Roman Ringwald in zwei gemeinsamen Großprojekten kennengelernt. Diese Zusammenarbeit war ausgesprochen harmonisch und kollegial. In beiden Projekten konnten wir unsere Mandanten optimal beraten und damit maßgeblich zum Erfolg beitragen. Dabei haben wir festgestellt, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben. Natürlich gab es auch Unterschiede. Die bestanden darin, dass BBH im Vergaberecht überwiegend Projekte betreut, die dem Energiesektor zuzurechnen sind, während Müller-Wrede & Partner ganz überwiegend im klassischen Infrastrukturbereich unterwegs war. Über Roman Ringwald habe ich dann zunächst einen kleineren Kreis von BBH-Partner:innen kennengelernt. Hierzu zählten Christian Held, Jost Eder und Ines Zenke. Wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden, sodass schnell die Idee im Raum stand, die Kanzleien zu fusionieren. So ist es dann auch gekommen.

WIE HABEN SIE DEN WECHSEL ZU BBH ERLEBT – GAB ES HERAUSFORDERUNGEN ODER LIEF VON ANFANG AN ALLES RUND?

Schon ab dem ersten gemeinsamen Projekt hat die Zusammenarbeit menschlich wie fachlich richtig gut funktioniert. Organisatorisch gab es verschiedene Herausforderungen, wie z. B. eine ganz andere IT-Struktur oder deutlich größere Verwaltungseinheiten. Wir sind jetzt aber schon seit über einem Jahr Teil der BBH-Gruppe und allmählich wird alles einfacher.

WOMIT MUSS MAN ALS VERGABERECHTLER AN EINEM TYPISCHEN ARBEITSTAG RECHNEN?

Für Vergaberechtler gibt es im Wesentlichen zwei Tätigkeitsbereiche. Der erste ist die Beratung in Vergabeverfahren. Hier unterscheidet man maßgeblich zwischen der Bieterberatung und der Auftraggeberberatung. Bei Letzteren ist der Aufwand deutlich höher, da man das Verfahren insgesamt gestalten und mit der Mandantschaft abstimmen muss. Weniger zeitintensiv, aber auch sehr spannend, ist die Bieterberatung. Als Berater eines Bieters prüfen wir die Vergabeunterlagen insbesondere auf Schwachstellen, um hieraus ggf. Potenzial für eine Rüge als Voraussetzung für ein späteres Nachprüfungsverfahren zu lokalisieren oder aber die Schwächen der Leistungsbeschreibung aufzudecken, damit unsere Mandant:innen daraus kalkulatorische Vorteile generieren können. 

Ein weiterer völlig unterschiedlicher Tätigkeitsbereich ist das Führen eines Nachprüfungsverfahrens. Nachprüfungsverfahren sind Rechtsstreitigkeiten über einen spezifischen Beschaffungsvorgang. In der überwiegenden Anzahl der Fälle vertreten wir dabei öffentliche Auftraggeber:innen. Die Verfahren sind sehr spannend, da es sehr kurze Schriftsatzfristen gibt und eine Entscheidung deutlich früher von den jeweiligen Nachprüfungsinstanzen getroffen wird als etwa von ordentlichen Gerichten oder Verwaltungsgerichten. Wir hatten das Glück, immer sehr große und spektakuläre Vergabeverfahren begleiten und oft auch vor Nachprüfungsinstanzen verteidigen zu dürfen. Bei derartigen Projekten, die oftmals mehrere 100 Millionen Euro Beschaffungsvolumen betragen, ist naturgemäß auch die Presse sehr interessiert. Daher musste man immer damit rechnen, dass es entweder während der Gestaltung des Vergabeverfahrens oder erst recht im Nachprüfungsverfahren intensive Pressebegleitung gibt. Als Beispiel sei hier die Staatsoper Unter den Linden genannt, die praktisch jeden Tag in der Zeitung war. 

Bei Nachprüfungsverfahren besteht die Besonderheit, dass in der ersten Instanz kein Gericht zuständig ist, sondern eine Vergabekammer. Hierbei handelt es sich um einen Spruchkörper, der in der Verwaltung selbst angesiedelt ist. Erst in der zweiten und letzten Instanz ist dann das jeweilige Oberlandesgericht zuständig. Bei Müller-Wrede & Partner waren wir als Litigationkanzlei sehr bekannt. Wir haben bestimmt mehr Nachprüfungsverfahren geführt als die meisten anderen Kanzleien. Dies versuchen wir nun mehr auf BBH zu übertragen. Im Nachprüfungsverfahren haben wir eine recht gute Erfolgsquote. Beispielsweise konnten wir letztes Jahr für einen Mandanten ein Nachprüfungsverfahren gewinnen, bei dem es um ein Beschaffungsvolumen von 700 Millionen Euro ging. Nachdem der Auftrag von unserem Mandanten auch auf dem Rechtsweg erstritten werden konnte, stieg der Börsenwert deutlich an.

WOHER UND WANN WUSSTEN SIE, WELCHER RECHTSBEREICH DER RICHTIGE FÜR SIE IST? WAS IST FÜR SIE DAS SPANNENDE AM VERGABERECHT?

Obwohl es schon eine ganze Zeit her ist, kann ich mich noch gut daran erinnern. Ursprünglich war das Vergaberecht nicht justiziabel, das heißt es gab keine einklagbaren Rechte für Bieter. Hieraus folgte, dass es natürlich auch kein Betätigungsfeld für Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen war – denn wo es keinen Streit gibt, braucht es auch keine anwaltliche Unterstützung. Das änderte sich schlagartig als die erste maßgebliche Vergaberechtsreform kam, die entsprechend den Vorgaben aus den europäischen Richtlinien dem Bieter einklagbare Rechte zubilligte. Allerdings gab es nur wenige Anwältinnen und Anwälte, die sich vorher schon mit dem Vergaberecht beschäftigt hatten. Daher war es eine Riesenchance, als einer der Ersten in diesem Markt tätig werden zu können. Übrigens zählen alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die sich von Beginn an mit der Materie beschäftigt haben, heute noch in den einschlägigen Anwaltsrankings zu den führenden Vergaberechtler:innen. 

Mir kam zugute, dass ich damals Geschäftsführer eines Ingenieurverbandes und in dieser Funktion in das Gesetzgebungsverfahren bei den Verbandsanhörungen eingebunden war. Bis dato hatte ich neben meiner Geschäftsführerfunktion zwar einige Zivilprozesse geführt, aber schwerpunktmäßig beschäftigte ich mich mit der Lobbyarbeit. Schon während des Gesetzesentwurfes beschloss ich, mich auf das Vergaberecht zu spezialisieren. Auch um mir einen Namen zu machen, habe ich sehr früh damit begonnen, Fachbücher zum Thema Vergaberecht herauszugeben. Hieraus ist dann später die sogenannte "Müller-Wrede-Reihe” entstanden. Zu nahezu sämtlichen vergaberechtlichen Vorschriften gibt es mittlerweile einen Kommentar, den ich herausgeben darf. Müller-Wrede & Partner konnte zudem schnell namhafte Mandate akquirieren und sich eine starke Stellung in der vergaberechtlichen Beratung erkämpfen. Von Anfang an zählten wir zu den Spitzenkanzleien, die im Vergaberecht gelistet sind. Mir hat die Beratung im Vergaberecht stets große Freude gemacht, da sie abwechslungsreich ist und immer auch eine politische Komponente hat. Es ist nicht selten, dass man mit politischen Entscheidern zusammenarbeitet. Auch handelt es sich überwiegend um Großprojekte, die wir betreuen dürfen. 

WELCHE ZUKUNFSAUSSICHTEN SEHEN SIE FÜR BERUFSEINSTEIGER:INNEN IM VERGABERECHT?

Vergaberecht ist im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten immer noch ein recht neues Rechtsgebiet und sehr stark von Richterrecht weiterentwickelt worden. Daher unterliegt es häufig Änderungen bzw. Neuerungen, die es sehr spannend für die Anwender:innen machen. Daher ist es gerade für Berufseinsteiger: innen ein interessantes Betätigungsfeld. Aufgrund der zahlreichen Änderungen gibt es keinen natürlichen Vorteil der „alten Hasen“. Alle Rechtsanwender:innen sind gezwungen, sich auf die jeweilige Neuerung einzustellen. Hinzu kommt, dass dem Vergaberecht gerade beim Sondervermögen für den Infrastrukturbereich und die Rüstungsbeschaffung eine besondere Bedeutung zukommt. Der Markt wächst also und es wird einen immer höheren Bedarf an Vergaberechtler:innen geben. Daher ist auch der Bedarf an Berufseinsteiger:innen stets hoch. Die Einarbeitung wird dabei gerade bei Kanzleien wie BBH dadurch erleichtert, dass Großmandate stets von größeren Teams beraten werden, sodass man zwangsläufig mit erfahreneren Kolleginnen oder Kollegen zusammenarbeitet. Dies erleichtert den Einstieg in die Rechtsmaterie.

GIBT ES EINEN MOMENT AUS IHRER KARRIERE, VON DEM SIE NACH WIE VOR GERN ERZÄHLEN?

Ein wichtiger Fall für meine Karriere war das Olympiastadion Berlin. Das alte Olympiastadion sollte saniert und modernisiert werden, um als Austragungsort für die Fußball-WM zur Verfügung zu stehen. Damals waren wir eine sehr junge und sehr kleine Kanzlei. Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich noch nicht einmal angestellte Anwältinnen und Anwälte, sondern lediglich drei wissenschaftliche Mitarbeiter:innen. Allerdings hatte ich mir schon einen Namen als Vergaberechtler gemacht. 

Die Sanierung und Modernisierung des Olympiastadions wurde als Baukonzession in den Wettbewerb gestellt. Der Senat wurde von einer sehr großen internationalen Kanzlei beraten. Während des Ausschreibungsverfahrens kam es zu einem Nachprüfungsverfahren. Der damalige Bausenator entschied sich, die Kanzlei, die ihn bis dato beraten hatte, auszuwechseln. Daraufhin erhielten wir das Mandat. Auf der Gegenseite stand ein sehr angesehener Vergaberechtler, Partner einer internationalen Kanzlei mit einem großen Team. Wir konnten das Vergabeverfahren erfolgreich vor der Vergabekammer verteidigen. Es gab zwar einen Vergleich, da man Verzögerungen in einem zweitinstanzlichen Verfahren verhindern wollte, dennoch war dies für alle Beteiligten ein großer Erfolg. Im Anschluss erhielten wir zahlreiche weitere Mandate vom Land Berlin wie auch von anderen staatlichen Auftraggebern. Man kann also sagen, dass dies der Grundstein für den weiteren Ausbau der Kanzlei war.

WELCHEN RATSCHLAG GEBEN SIE IMMER WIEDER GERN?

Ein wichtiger Ratschlag, den ich Kolleginnen und Kollegen immer wieder mitgebe, lautet, dass man sich in jedem Fall für das Rechtsgebiet interessieren sollte, in dem man tätig ist. Wer sich für das Vergaberecht entscheidet, sollte dafür auch brennen – einfach aus dem Grund, weil es ein dynamisches, stark europarechtlich geprägtes und immer sehr politisches Rechtsgebiet ist, das sich ständig weiterentwickelt.

Vielen Dank für das Gespräch!