Interview mit BBH-Partner und Rechtsanwalt Dr. Tigran Heymann über die Besonderheiten des Kartellrechts

Das Kartellrecht ist in der Energiewirtschaft allgegenwärtig – so Dr. Tigran Heymann, einer unserer auf das Kartellrecht spezialisierten Anwälte. In diesem Interview gibt er Einblicke in seine tägliche Arbeit und lässt uns daran teilhaben, was ihn nach wie vor an seinem Arbeitsgebiet fasziniert. Tipps für die Karriereplanung gibt’s obendrauf.

Das Kartellrecht ist in der Energiewirtschaft allgegenwärtig – so Dr. Tigran Heymann, einer unserer auf das Kartellrecht spezialisierten Anwälte. In diesem Interview gibt er Einblicke in seine tägliche Arbeit und lässt uns daran teilhaben, was ihn nach wie vor an seinem Arbeitsgebiet fasziniert. Tipps für die Karriereplanung gibt’s obendrauf.

HERR DR. HEYMANN, IN ANBETRACHT IHRER LANGEN TÄTIGKEIT ALS RECHTSANWALT IM KARTELLRECHT – WAS WAREN IHRE BEWEGGRÜNDE DAFÜR, RECHTSANWALT ZU WERDEN? WIESO HABEN SIE BEISPIELSWEISE KEINE KARRIERE IM BUNDESKARTELLAMT ANGESTREBT?

Ich habe für mich relativ schnell herausgefunden, dass die staatlichen und behördlichen Strukturen für mich nicht das Richtige wären. Mein Eindruck war, dass ich in den Anwaltsstationen oder auch bei den Unternehmen, in die ich reinschnuppern durfte, mehr Gestaltungsspielraum habe. Der anwaltliche Beruf etwa ist ja gerade darauf ausgelegt, zunächst die tatsächliche Sach- und Interessenlage der Mandant*innen zu ermitteln und dann zu überlegen, welche Vorgaben und Handlungsoptionen sich aus dem rechtlichen Rahmen ergeben. Einen Vertrag zu schließen, die Einigung herbeizuführen, mit Behörden zu kommunizieren und so weiter. Außerdem hatte ich in einzelnen meiner staatlichen Referendarstationen das Gefühl, dass dort teilweise sehr isoliert gearbeitet wurde. Das Teamwork, welches wir bei BBH haben, konnte ich dort jedenfalls nicht wiederfinden.

WOHER WUSSTEN SIE, WELCHER RECHTSBEREICH FÜR SIE DER RICHTIGE IST? WAS IST DAS REIZVOLLE AM KARTELLRECHT?

Die ersten Berührungspunkte mit dem Kartellrecht hatte ich schon im Studium und später auch bei einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Unternehmen, das sich nach kartellbehördlicher Freigabe gerade in der operativen Umsetzung eines großen Zusammenschlusses befand. Was mir daran sehr gut gefiel und gefällt, ist dieser starke Marktbezug. Im Kartellrecht lernt man viel über den Wettbewerb auf und die Funktionsweise von ganzen Märkten. Man muss sich stets sehr praxisbezogen damit auseinandersetzen, über welches Produkt und welchen Markt genau gesprochen wird und welche ökonomischen Mechanismen greifen. Erst dann entwickelt man den eigenen juristischen Vorschlag z. B. darüber, ob das Verhalten eines starken Marktakteurs dem Wettbewerb schadet und kartellrechtlich problematisch ist – oder aber die eigene Bewertung, ob das Zusammengehen zweier Konkurrenten erhebliche Probleme für den verbleibenden Wettbewerb nach sich zieht. Diese Verknüpfung fand ich schon damals und finde sie auch heute noch am interessantesten.

WIE SIEHT EIN TYPISCHER ARBEITSTAG ALS KARTELLRECHTSANWALT AUS?

Mein Alltag ist sehr vielfältig. Als ich als Anwalt angefangen habe, habe ich mich beispielsweise intensiv mit der Preismissbrauchsaufsicht beschäftigt. Da waren meine typischen Fälle, dass wir zu Anfragen der Kartellbehörde über die Preisgestaltung Stellung nehmen mussten. Oder nehmen wir den Bereich Fusionskontrolle, wo wir aktuell viel unterwegs sind. Hier haben wir uns beispielsweise gegen die Fusion der Marktriesen RWE und EON gewendet und vertreten die Interessen von Versorgungsunternehmen, die in ihren Tätigkeitsfeldern die Folgen der Fusion fürchten und spüren.

Man kann eigentlich gar nicht von einem typischen Alltag sprechen, weil die Arbeit immer sehr vielfältig ist. Es gibt natürlich ein paar Anker, die standardisiert sind. Eine Fusionsanmeldung beispielsweise hat immer ein bestimmtes Muster. In den Märkten selbst ist es dann aber jedes Mal ziemlich individuell.

Schön ist auch, dass wir in allen Fällen im Bereich des Kartellrechts einen sehr intensiven Austausch mit dem Mandanten haben. Nehmen wir den Fall RWE und E.ON: Hier waren wir mit den Fachabteilungen im Kontakt und haben uns intensiv damit befasst, was die praktischen Probleme in den unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen sind und wie die Betroffenheiten im Geschäftsmodell sind. Ausgehend davon haben wir analysiert und teilweise auch ökonomisch bewerten und berechnen lassen, inwiefern die Probleme mit dem Zusammenschluss zusammenhängen. Darauf aufbauend haben wir (Gegen-) Argumente entwickelt, warum der Zusammenschluss so (nicht) freigegeben werden darf bzw. hätte freigegeben werden dürfen.

RECHT UND DIGITALISIERUNG – INWIEWEIT PASST DAS ZUSAMMEN? IN WELCHEN BEREICHEN IST DAS KARTELLRECHT VON DER DIGITALISIERUNG BETROFFEN? WELCHE VOR- UND NACHTEILE SEHEN SIE HIER?

Viele standardisierte Marktaktivitäten, aber auch die kartellrechtliche Bewertung und Umsetzung dieser, lassen sich durch digitale Prozesse abwickeln und automatisieren. Wie schon erwähnt, folgen zum Beispiel Fusionsanmeldungen einem bestimmten, wiederkehrenden Muster. Sofern Fusionen den Energiemarkt betreffen, ist es möglich, Fusionsanmeldungen in einem elektronischen System zu erstellen und hierbei den Mandanten dann sogar selbst die Vorlage – etwa in Bezug auf betroffene Marktsegmente, relevante Umsatzangaben, Absatzmengen, Marktanteile – befüllen zu lassen, um sich selbst auf die kritische Korrektur dessen zu beschränken. Die weitergehende Stufe ist dann die künstliche Intelligenz, durch die im Rahmen einer Anmeldung dann z.B. aktuelle Marktbeschreibungen und -beurteilungen aus einschlägigen Quellen – zum Beispiel kartellrechtlichen Entscheidungs- und Urteilsdatenbanken – generiert werden. Das Kreative, was den Juristen ja ein bisschen ausmacht, wird sich allerdings nie so ganz ersetzen lassen.

Die Digitalisierung hält aber natürlich auch in der materiellen Bewertung von Kartellsachverhalten Einzug. Denn viele klassische Probleme, die sich auf analogen Produktmärkten abgespielt haben, haben sich in den Bereich der virtuellen Welt verlagert. Amazon, Facebook oder Google sind anders marktmächtige Unternehmen als die, die man bisher kannte. Oder bleiben wir beim Energievertrieb. Hier kann ein Unternehmen, das Daten, Geld und digitales Know-how vereint, sehr viel einflussreicher als die Konkurrenten sein.

SIE SIND NICHT DER EINZIGE EXPERTE FÜR KARTELLRECHT BEI BBH. ARBEITEN SIE HÄUFIG MIT KOLLEG*INNEN ZUSAMMEN? WIE IST BBH HIER STRUKTURIERT?

Wir haben bei uns Kolleg*innen, die sich in einem überwiegenden Anteil ihrer Arbeit auf Kartellrecht und seine Mechanismen spezialisiert haben. Diese arbeiten oft am Fall zusammen und wir tauschen uns regelmäßig über neueste Fälle, grundlegende Entwicklungen in der Gesetzgebung, Behördenpraxis und Rechtsprechung aus.

Im Grunde sollte aber jede*r die Grundzüge des Kartellrechts mitdenken. BBH ist ja auf Infrastrukturen und insbesondere auf Gas, Strom, Wärme, Telekommunikation, Wasser und Abwasser spezialisiert. Der Energiemarkt wurde erst Ende der 1990er Jahre liberalisiert, aber es bleiben natürlich dennoch einzelne Monopolbereiche wie die Netze. In diesem Fall muss man den Wettbewerb über Effizienzvorgaben für einen Netzbetreiber simulieren. Das ist dann abgeleitetes Kartellrecht und unsere Netzexperten oder die im Konzessionsbereich denken in „Als ob“-Strukturen Kartellrecht auch immer mit. Auch Vertragsschlüsse können Grenzen im Kartellrecht haben. Und so arbeiten wir in Projekten oft teamübergreifend zusammen. Die einschlägig tätigen Kolleg*innen wissen, dass Kartellrecht mitzudenken ist. Bei den Details kommen dann wir Kartellrechtler*innen ins Spiel.

WAS IST IHRER AUFFASSUNG NACH DIE WICHTIGSTE EIGENSCHAFT, ABGESEHEN VON DEN KENNTNISSEN IM RECHT, ÜBER DIE EIN ANWALT FÜR KARTELLRECHT VERFÜGEN SOLLTE?

Interesse an Märkten und ein ökonomisches Interesse. Wer sich schwer damit tut, sich mit Wirtschaftsfragen auseinander zu setzten, wird am Kartellrecht weniger Freude haben. Das ist umgekehrt aber auch das Großartige an diesem Rechtsbereich. Man lernt viel über ganz alltägliche Vorgänge, die man als Anwender ohne konkreten Anlass nie hinterfragen würde. Oder haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, in welchem Produktmarkt Sie eigentlich genau unterwegs sind und wie die räumliche Ausdehnung dieses Marktes ist, wenn Sie im Internet z.B. regionale Grünstromtarife oder bundesweite Graustromtarife miteinander vergleichen und sich für einen internationalen Anbieter entscheiden? Oder welcher Markt ist eigentlich betroffen, wenn der Erwerber eines Eigenheims zwischen verschiedenen Heizsysteme wie auf Gas- oder Ölbasis, mit Wärmepumpen oder durch Fernwärmeanschluss wählt? Bildet jedes Heizsystem einen eigenen Produktmarkt oder gibt es womöglich einen technologieübergreifenden Wärmemarkt?

WÄCHST MAN IN DIESES WISSEN REIN ODER LOHNT ES SICH BESTIMMTE BWL-KURSE SCHON WÄHREND DES STUDIUMS ZU BELEGEN?

Hier sehe ich ein bisschen den Nachteil des klassischen Jurastudiums. Es gibt üblicherweise keine Pflichtkurse für die Jurastudierenden in der Betriebswirtschafts- oder Volkswirtschaftslehre. Umgekehrt haben BWL oder VWL-Student*innen aber verpflichtend Kurse zum Handelsrecht oder Gesellschaftsrecht. Jurist*innen sollten in diesen Bereichen Grundkurse haben. Schon weil Jura nur Handwerk zur Lösung ökonomischer Sachverhalte ist, jedenfalls im Wirtschaftsrecht.

WELCHE WEITEREN EIGENSCHAFTEN SIND SINNVOLL? AUCH MIT BLICK AUF DIE „SOFT SKILLS“?

Man muss im Kartellrecht ein gewisses investigatives Interesse mitbringen. Der Bereich setzt voraus, dass man sich mit der Funktionsweise von Märkten auseinandersetzt. Dementsprechend muss man sich auch ein bisschen wie ein Ermittler verstehen, der sich zunächst in den Sachverhalt reinarbeiten muss, bevor er in die rechtliche Bewertung einsteigt.

Weiterhin muss man einen guten Draht zu Mandanten haben und gute Fähigkeiten im Projektmanagement besitzen. Häufig ploppen Kartellfragen sehr schnell hoch und sind dann innerhalb kürzester Zeit intensiv zu behandeln. Das heißt man muss gut organisiert sein, um Fristen und zeitliche Restriktionen einzuhalten. Wichtig ist auch ein integriertes Denken. Also eben nicht rein juristisch zu denken. Sondern auch die wirtschaftlichen Parameter und Dimensionen der Fragestellung zu beleuchten und ausgehend von diesen juristische Ableitungen zu treffen. Nicht umgekehrt.

WAS WAR BISHER DER SCHÖNSTE MOMENT ALS KARTELLRECHTSANWALT FÜR SIE?

Als Kartellrechtsanwalt hat man immer wieder schöne Erlebnisse. Meine Top 3:

Als ich Anfang 2009 bei BBH angefangen habe, hatte ich die Chance, sehr schnell in einem damals sehr wichtigen Fusionsverfahren für ein paar Mandanten bei der Kommission in Brüssel bei einer Drittanhörung dabei zu sein und deren Interessen vorzutragen. Das war für mich im Berufseinstieg sehr spektakulär.

Sehr positiv in Erinnerung habe ich auch ein sehr interessantes und kompliziertes Schiedsverfahren, bei dem es um vielschichtige kartellrechtliche und ökonomische Fragen im Zusammenhang mit langfristigen Gaslieferverträgen ging und wir für einen Mandanten schöne Erfolge erzielen konnten.
Und natürlich das EON/RWE Verfahren, welches wir von Anfang an für unsere Mandanten begleitet haben, beginnend von den Behördenverfahren bis hin zu verschiedenen Gerichtsverfahren. Die Gerichtsverfahren sind zwar noch nicht zu Ende, haben aber bislang schon zahlreiche, intensive Momente mit sich gebracht, so etwa die mündlichen Verhandlungen beim Europäischen Gericht in Luxemburg.

WELCHE EINSCHRÄNKUNGEN BRINGT DER BERUF MIT SICH? UND NEHMEN SIE ARBEIT MIT NACH HAUSE?

Für mich ist bei meiner täglichen Arbeit am wichtigsten, dass ich interessante, abwechslungsreiche Aufgaben auf dem Tisch habe, mit denen ich mich identifiziere. Dann vergeht die Zeit ohnehin wie im Flug. Am Ende macht für mich einen guten Anwalt gerade aus, dass er versucht, den Bedürfnissen des Mandanten bestmöglich gerecht zu werden. Das führt dazu, dass man auch mal länger und in den Abend hinein über Themen brütet – zumal, wenn sich Rechtsbereiche so dynamisch entwickeln wie in der Energiewirtschaft und daher die Lösung häufig nicht einfach aus der Schublade gezaubert werden kann. Ich glaube, gerade im Berufseinstieg fällt gerade das dann aber häufig schwer. Und natürlich braucht es erst einmal Übung und Zeit zu lernen, mehrere Mandate parallel zu balancieren und sprichwörtlich die Bälle in der Luft zu halten. Das wird im Studium kaum vermittelt. Man braucht also schon eine gewisse Belastbarkeit und Organisationsfähigkeit.

Ansonsten sehe ich den Beruf als sehr flexibel an. Als Anwalt kann man sich weitestgehend selbst organisieren. Wir bei BBH haben auch unterschiedliche Arbeitsweisen. Manche meiner Kolleg*innen arbeiten tagsüber in bestimmten Kernzeiten, nehmen sich dann zwischendurch die Zeit für die Familie und setzten sich abends noch einmal ran. Andere arbeiten lieber am Stück, kommen und gehen später (oder auch umgekehrt). Ich persönlich favorisiere eher Letzteres und erledige meine Arbeit im Büro.

WAS IST IHR AUSGLEICH ZUM BÜROALLTAG?

Die Familie. Sport, vor allem Basketball. Daneben das Übliche: Lesen und Fernsehen.

IN HINBLICK AUF IHR 15-JÄHRIGES JUBILÄUM BEI BECKER BÜTTNER HELD: WAS IST DAS BESTE AN DER ARBEIT BEI BBH?

Das Beste bei BBH sind der sehr kollegiale Umgang miteinander und die megaspannenden Themen wie die Transformation der Wirtschaft in ein klimaneutrales Zeitalter. Jeder Tag bringt Abwechslung und es besteht jederzeit die Möglichkeit, sich mit angenehmen Kolleg*innen auszutauschen.

WAS UNTERSCHEIDET IHRER MEINUNG NACH EINEN GUTEN RECHTSANWALT VON EINEM DURCHSCHNITTLICHEN?

Man muss die Fähigkeit haben, sich in die Interessenlage des Mandanten einzudenken. Also nicht ein reiner Rechtsanwendungsautomat zu sein, sondern eher jemand der versteht, was für den Mandanten wichtig ist. Dazu gehört auch, nicht nur ungefiltert die Frage eines Mandanten entgegenzunehmen, sondern mit kritischem Blick und Distanz zu beurteilen, ob die Antwort überhaupt weiterhilft, oder ob der Mandant nicht doch etwas ganz anderes meint. Ich sehe die Qualitätsunterschiede der Anwält*innen darin, ob sie erst einmal ein Grundverständnis für die Interessenlage entwickeln und auch die Sprache des Mandanten sprechen. Es ist wichtig in der Lage zu sein, komplizierte Sachverhalte mit einfacher Sprache erklären zu können.

WELCHEN ABSCHLIESSENDEN RATSCHLAG WÜRDEN SIE JUNGEN VOLLJURIST*INNEN MITGEBEN?

Es ist wichtig für sich herauszufinden, ob es in die freie Wirtschaft gehen soll oder ob sich eine staatliche Laufbahn anbietet. Außerdem sollte man das Referendariat, aber auch die Anfangszeit im Berufseinstieg intensiv nutzen, um festzustellen, ob der Weg, den man eingeschlagen hat, der richtige ist. Hierbei ist neben der kurzfristigen Betrachtung gleichzeitig aber immer auch der angemessene Weitblick wichtig. Gerade am Anfang des Berufslebens erscheint die Rampe manchmal hoch. Die eigene Lernkurve und Entwicklung verlaufen aber in den wenigsten Fällen linear. Man sollte also die berufstypischen Herausforderungen annehmen und nicht resignieren. Wer mit dem Rüstzeug aus Studium, Referendariat und zwei Staatsexamen sowie gesundem Interesse an mandantenorientierter Wirtschaftsberatung in die Arbeit bei BBH startet, ist dafür gut gewappnet.

Vielen Dank für das Interview!